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Tagung "Magdeburg im Ersten Weltkrieg – eine Stadt an der Heimatfront"
Im Juli 2014 wird sich der Beginn des Ersten Weltkrieges zum hundertsten Mal jähren. Ein Jubiläum, das wenig zum Feiern, als vielmehr zum Nachdenken über das Vergangene anregt. Oft als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet, führte der Erste Weltkrieg zu Veränderungen, deren Rückwirkungen sich auch fernab der prominenten Kriegsschauplätze abzeichneten. Mit dem Blick auf das Fernab, auf die einstige preußische Provinz Sachsen gerichtet, planen das Stadtarchiv Magdeburg, die Stadtbibliothek Magdeburg sowie die Forschungsstelle für Moderne Regionalgeschichte der Otto-von-Guericke-Universität ein gemeinsames Projekt, in dem sie sich mit jenen kriegsbedingten Umbrüchen, Auswirkungen und Folgeeffekten intensiv auseinandersetzen. Themen aus der Sozial-, Wirtschafts-, Politik- sowie Kulturgeschichte sollen dabei auch in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern erforscht und in einer für 2014 vorgesehenen ersten Publikation veröffentlicht werden. Als Ermunterung zum Mitwirken an diesem Vorhaben richteten die Kooperationspartner mit Unterstützung der Landeszentrale für Politische Bildung Sachsen-Anhalt am 24.02.2013 den Themenworkshop "Magdeburg im Ersten Weltkrieg - eine Stadt an der 'Heimatfront'" aus.
Eröffnet wurde der Themenworkshop durch eine Begrüßung von MAIK HATTENHORST (Stadtbibliothek Magdeburg). In seinem Vortrag zum Auftakt vergegenwärtigte er, dass sich in Magdeburg bereits kurz nach Kriegsbeginn eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Ereignissen abzeichnete. Die von Hattenhorst beispielhaft genannten Quellen prononcierten dabei das historische Selbstverständnis der Magdeburger Bürger deutlich. Dieses, so Hattenhorst, schlage sich allerdings nicht in der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem neuzeitlichen Magdeburg nieder. Denn trotz eines historischen Selbstverständnisses sowie des Interesses an den verschiedensten lokal- und regionalgeschichtlichen Themen sei bis jetzt nur Weniges tatsächlich erforscht worden. Gerade deshalb sei es für das Gelingen eines Projekts wie das diese von großer Wichtigkeit, in Vereinen, Institutionen und der Öffentlichkeit weitere Unterstützung zu finden, betonte Hattenhorst abschließend.
Mit seinen anschließenden Darstellungen über die Formen der historischen und aktuellen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg eröffnete JUSTUS H. ULBRICHT (Forschungsstelle für Moderne Regionalgeschichte der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) schließlich das erste Panel des Workshops. Zu Beginn seiner Ausführungen ging Ulbricht zunächst auf Aspekte protestantischer Kriegspredigten ein, bevor er anhand entsprechenden Quellenmaterials Erlebnisse studentischer Frontsoldaten sowie die ersten regional spürbaren Auswirkungen des Ersten Weltkriegs illustrierte. Dabei merkte Ulbricht an, das gerade die Auseinandersetzung mit den Überlieferungen deutlich werden ließe, dass die Zeit des Ersten Weltkriegs unserer Gesellschaft der Gegenwart fern und fremd geworden sei. Dies, so Ulbricht weiter, sei durchaus verständlich und erklärbar. Es dürfe dennoch nicht dazu führen, schlussfolgerte Ulbricht, dass die Beschäftigung mit einer Epoche des Wandels, als die das beginnende 20. Jahrhundert bezeichnet werden könne, ausbliebe. Denn Vieles, was heute Fragen aufwirft und irritierend wirkt, könne Impulse durch die Auseinandersetzung mit diesem Zeitabschnitt erhalten.
Den Abschluss des Vormittags bildete der Vortrag „Am Rand der Geschichte? Magdeburgs jüdische Frontsoldaten. Ein Projektbericht“. Unter der Leitung von MONIKA GIBAS (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) erarbeiten Geschichtsstudent/innen seit zwei Semestern eine Tafelausstellung, deren Konzept sowie aktueller Zwischenstand den Workshop-Teilnehmer/innen vorgestellt wurden. Neben thematischen Tafeln, die sich einzelnen Aspekten des jüdischen Lebens und dem Militär allgemein nähern, bilden biographische Tafeln einen wesentlichen Teil der Ausstellung. Durch diese soll auf individuelle Schicksale jüdischer Frontsoldaten Magdeburgs aufmerksam gemacht werden, so die Referent/innen. Deutlich machten die Student/innen dabei auch, dass obwohl bereits vielfältiges Quellenmaterial recherchiert und genutzt werden konnte, einige Details und Hinweise zu jenen Einzelbiographien durchaus noch fehlten, sodass um Unterstützung der entsprechenden Institutionen gebeten wurde.
Um an die am Vormittag geführten Diskussionen beziehungsweise den intensiven Gedankenaustauschen anknüpfen zu können, entschlossen die Organisatoren kurzfristig das zweite Panel umzustrukturieren. So wurden die ursprünglich als Workshop konzipierten Beiträge der eingeladenen stadt- und lokalgeschichtlichen Expert/innen ebenfalls vor dem gesamten Auditorium vorgetragen. Anhand des biographischen Beispiels Leutnant Albert Mayers - der geborene Magdeburger, gilt als erster gefallener deutscher Offizier des Ersten Weltkrieges - ließ MAREN BALLERSTEDT (Magdeburg) bewusst werden, dass mittels der Materialien, welche das Stadtarchiv biete, gedenkkulturelles Verhalten rekonstruiert werden könne. So stellte Ballerstedt in ihrer Analyse beispielhaft dar, dass Leben und Todesumstände Mayers mehrmals im Sinne des Zeitgeistes umgedeutet wurden, wobei die Interpretationen von Heroisierung bis Kriegskritik reichten.
Einen Einblick in den facettenreichen Materialbestand des Stadtarchives Magdeburg, gab schließlich ISABELL MÜLLER (Magdeburg). Mit ihrem Bericht veranschaulichte sie, dass nicht allein zahlreiche Aktenbestände aus den einzelnen Behörden und Institutionen im Archiv verwahrt werden, sondern das auch verschiedene Nachlässe, Tagebücher sowie Fotosammlungen für entsprechende Forschungen zur Verfügung gestellt werden könnten. In ähnlicher Weise verhält es sich mit dem Bestand der Stadtbibliothek Magdeburg. Mit seiner Bestandsaufnahme zeigte MAIK HATTENHORST auf, dass auch hier eine umfangreiche Sammlung von Zeitungen, verschiedenen Periodika sowie zeitgenössischen Publikationen für interessierte Forscher/innen zur Verfügung gestellt werden können. Beispielhaft verdeutlichte Hattenhorst die Vielfältigkeit des Materials anhand einzelner Publikation. In der anschließenden Diskussion wurde angeregt über mögliche Forschungsschwerpunkte gesprochen. Dabei zeichnete sich die Bereitschaft einiger Vereine sowie kultureller Einrichtungen zur Kooperation bereits deutlich ab.
Den Abschluss der Tagung bildete schließlich der Abendvortrag von MATHIAS TULLNER (Magdeburg). In seinem Beitrag zum Thema „Städtischer Ausnahmezustand - Magdeburg 1914-1918. Forschungsstand und neue Fragen“ hob Tullner gleich zu Beginn noch einmal hervor, dass, obschon sich die Quellenlage als überaus umfangreich beschreiben lässt, bis jetzt nur eine geringe Beschäftigung mit der neuzeitlichen Geschichte Magdeburgs stattgefunden habe. So seien zwar einige wichtige Forschungsbeiträge entstanden, wie etwa die Arbeit des emeritierten Professor HANS OTTO GERICKE zur Elektrifizierung Sachsen-Anhalts, würden jedoch die weißen Flecken überwiegen, die Magdeburgs Vergangenheit unbekannt bleiben ließen. Ob eine Auseinandersetzung mit den Antikriegsbemühungen der Sozialdemokraten, dem Umbau der Magdeburger Maschinenindustrie auf Rüstungsproduktion oder die Gründungsumstände des Reichsbund der Frontsoldaten, diese und weitere Themenbereiche würden eine Vielzahl von relevanten Forschungsmöglichkeiten anbieten, mit denen interessierte Historiker/innen einen wichtigen Beitrag zur Regionalgeschichte leisten könnten, resümierte Tullner abschließend.
Rückblickend hat der Themenworkshop drei Aspekte besonders deutlich werden lassen. Erstens hat sich gezeigt, dass die landesgeschichtlichen Forschungen zum Ersten Weltkrieg, zu kriegsbedingten Veränderungen oder Folgen dieser ersten Umbruchphase des jungen 20. Jahrhunderts in Sachsen-Anhalt durch erhebliche Desiderate gekennzeichnet sind. Lediglich wenige, zum Teil sehr spezifische Themenbereiche waren bisher Gegenstand historiographischer Untersuchungen. Diese bieten zwar profunde Einblicke in die lokal- sowie regionalgeschichtliche Vergangenheit, zugleich bleiben sie aufgrund ihrer Spezialisierung Wissensinseln zu deren Verknüpfung eine Vielzahl weiterer Forschungsprojekte notwendig werden. Zweitens haben die Präsentationen von Isabell Müller und Maik Hattenhort deutlich werden lassen, dass im Stadtarchiv sowie in der Stadtbibliothek Magdeburgs umfangreiche Bestände vorhanden sind, deren facettenreiches Material interessierten Forscher/innen thematischen Schwerpunkten entsprechen zugänglich gemacht werden kann. Drittens war dem Workshop anzumerken, dass jenes historiographische Interesses an lokal- sowie regionalgeschichtlichen Ereignissen, das Maik Hattenhorst in seinem Begrüßungsvortrag hat anklingen lassen, auch für die Magdeburger Öffentlichkeit der Gegenwart charakteristisch ist. Davon zeugten sowohl die hohe Teilnehmerzahl an der Veranstaltung, als auch die vielfältigen Wortmeldungen in den Diskussionen. Inwiefern nun aus dem Impuls des Workshops konkrete Beiträge im Sinne des Projektanliegens hervorgehen werden, bleibt Indes abzuwarten.
Konferenzübersicht:
Begrüßung: Maik Hattenhorst (Stadtbibliothek Magdeburg)
Justus H. Ulbricht (Forschungsstelle für Moderne Regionalgeschichte der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg): Lange her und noch präsent? Formen der historischen und aktuellen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg.
Monika Gibas und Student/innen (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg): Am Rand der Geschichte? Magdeburgs jüdische Frontsoldaten. Ein Projektbericht.
Maren Ballerstedt (Stadtarchiv Magdeburg): Leutnant Albert Mayer, gefallen am 2. August 1914 - Anmerkungen zur Herkunft, Biographie und Gedenkkultur.
Isabell Müller (Stadtarchiv Magdeburg): Quellen zum Thema "1. Weltkrieg und Magdeburg" im Stadtarchiv Magdeburg.
Maik Hattenhorst (Stadtbibliothek Magdeburg): Materialbestand zum Thema "1. Weltkrieg und Magdeburg" in der Stadtbibliothek Magdeburg.
Diskussion
Mathias Tullner (Forschungsstelle für Moderne Regionalgeschichte der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg): Städtischer Ausnahmezustand - Magdeburg 1914-1918. Forschungsstand und neue Fragen.
Tagungsbericht, verfasst von Yvonne Kalinna für H-Soz-Kult